Dr. Werner Deigendesch

Neuropädiater in Palästina: "Ich wusste: Da muss man was machen"


Dr. Werner Deigendesch hat die neuropädiatrische Abteilung im Caritas Baby Hospital initiiert und mitaufgebaut. Im Interview erzählt der Metzinger Kinderarzt und Neuropädiater, wie es dazu kam und wie er seine Zeit in Bethlehem erinnert.

Kinderhilfe Bethlehem: Herr Dr. Deigendesch, Sie haben 30 Jahre lang eine Kinder- und Jugendpraxis in Metzingen betrieben. Dann stand der Ruhestand auf dem Plan. Aber anstatt ihn anzutreten, sind sie 2010 nach Bethlehem gegangen. Wie kam es dazu?

Werner Deigendesch: Ich habe mir nicht viele Gedanken gemacht, wie mein Ruhestand aussehen wird. Meine Frau hatte dann die Idee mit einer größeren Reise - dafür war vorher nie Zeit gewesen. Unsere Kirchengemeinde hier in Metzingen hatte zu diesem Zeitpunkt gerade eine Reise durch Israel und Palästina ausgeschrieben. Also klinkten wir uns ein. 

Die ersten Tage im Heiligen Land wohnten wir in einem Nachbarort von Bethlehem, bei einem befreundeten Pfarrer. Wann immer wir von dort mit dem Bus über die Grenze nach Jerusalem fuhren, mussten wir an dem Checkpoint in Bethlehem warten. Mein Blick fiel dann auf das große Gebäude, auf dem Caritas Baby Hospital stand. Ich fragte unseren Guide, was es damit auf sich hat. Der sagte dann: das ist die einzig funktionierende Kinderklinik hier in Palästina. Damit hatte er mich. Ich wollte mir das genauer angucken. Aber auf der Rundreise war keine Zeit dafür, ich kam dann wenige Monate später zurück. 

Was haben Sie erlebt, als sie das erste Mal im Caritas Baby Hospital waren?

Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass ein Neuropädiater zu Besuch ist. Am zweiten Tag meines Aufenthalts, der ja quasi eine Art freiwilliges Praktikum war, sprach mich schon die Pflegedienstleitung an: ob ich mir ein Kind, das mit Krämpfen eingeliefert wurde, anschauen könne. Am nächsten Tag brachte man schon zwei Kinder mit Anfällen zu mir, kurz darauf hatte ich eine eigene neuropädiatrische Sprechstunde. Für mich waren die Kinder typische Fälle; ich bin ja unter anderem auf Epilepsie spezialisiert. Aber in Bethlehem, vielmehr in ganz Palästina, gab es keinen einzigen auf diese Krankheitsbilder spezialisierten Arzt. Als mein zweiwöchiger Aufenthalt vorbei war und ich so viele Kinder mit neurologischen Erkrankungen gesehen hatte, wusste ich: Da muss man was machen. 


"Hier in Deutschland hat man teilweise zu viele Ärzte und Ärztinnen, beispielsweise an Unikliniken. In Palästina sind es immer zu wenige." 

Dr. Werner Deigendesch, ging nach Bethlehem um die Neuropädiatrie voranzubringen


Was war Ihre Vision?

Ich wollte eine eigene Abteilung für Neuropädiatrie im Caritas Baby Hospital aufbauen und junge Ärztinnen und Ärzte in meinem Fachgebiet und an den hierfür notwendigen technischen Geräten ausbilden. Dafür bin ich nach Bethlehem gezogen und habe eineinhalb Jahre im Caritas Baby Hospital gearbeitet. Danach musste ich aus familiären Gründen zurück nach Deutschland, aber ich engagierte mich weiter. Ich kam alle paar Monate zurück.

Wie steht es heute um die Neuropädiatrie in der Kinderklinik?

Schon ein Jahr nach Beginn meines Aufenthaltes war die neuropädiatrische Sprechstunde im Caritas Baby Hospital die Erfolgreichste von allen. Wir betreuten regelmäßig 600 Patientinnen und Patienten. Ich hatte dabei Hilfe von einem Kollegen aus Stuttgart, Dr. Keimer, der genau wie ich noch Jahre späte regelmäßig in Bethlehem war. Heute ist meine aktive Zeit vorbei, aber es arbeiten jetzt zwei arabische Ärzte als Neuropädiater im Caritas Baby Hospital. Ein großer Erfolg! Dr. Nader, den ich für die Weiterbildung motiviert habe, leitet heute die neuropädiatrische Abteilung im Caritas Baby Hospital. Dr. Motee, ebenfalls ein erfahrener Neuropädiater, kommt einmal in der Woche zur Sprechstunde aus Jerusalem. Die beiden bringen jetzt Assistenzärzten und -ärztinnen in Bethlehem das Grundhandwerk der Neuropädiatrie bei. Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass unsere Vision durch sie weiterlebt.

Nun steht die neuropädiatrische Abteilung, das technische Gerät ist beschafft: für was braucht es also noch dringend Spenden?

Das wichtigste ist jetzt, dass wir jungen, motivierten Ärzten und Ärztinnen eine gute Ausbildung und eine Vertiefung ihres Fachgebietes ermöglichen. Deswegen wollen wir ihnen Aufenthalte in Europa ermöglichen. Genauso sollten wir Fachärzte und -ärztinnen nach Palästina schicken. Daher sind mir Klinikpartnerschaften so wichtig. Insbesondere mit der Uniklinik in Tübingen besteht bereits ein regelmäßiger, fachlicher Austausch. Diese Verbindungen ermöglichen, dass wir voneinander lernen und uns bei komplizierten Fällen aushelfen.  

Fahren Sie selbst noch nach Bethlehem?

Ich komme noch manchmal zu Besuch. Ich fühle mich dem Klinikpersonal und einigen meiner Patientinnen und Patienten persönlich noch sehr verbunden. Vor allem einer meiner ersten Fälle: Adrian, heute 12 Jahre alt. Er hat eine Halbseitenlähmung, weil er schon im Mutterbauch einen Schlaganfall hatte. Ich habe ihn damals regelmäßig behandelt. Wenn er hört, dass ich zu Besuch bin, kommt er zur Klinik, um mich zu begrüßen. Da geht mir das Herz auf.

Dr. Werner Deigendesch und seine Kollegen im Caritas Baby Hospital

Dr. Werner Deigendesch mit Kolleg_innen der neuropädiatrischen Abteilung im Caritas Baby Hospital.                                                                      Foto: privat

Teilen